Klage gegen Söders Kreuzerlass - Verhandlungstermin am 14. Dezember 2023 vor dem Bundesverwaltungsgericht

Karikatur von Jacques Tilly - Copyright Giordano-Bruno-Stiftung
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Der Bund für Geistesfreiheit München fordert die Aufhebung des Kreuzerlasses und die Entfernung der Kreuze. Stattdessen soll Art. 1. GG in den staatlichen Dienststellen angebracht werden.  
 

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hatte am 1. Juni 2022 die Klagen des Bundes für Geistesfreiheit München (bfg München) und Bayern (bfg Bayern) sowie von 25 Einzelpersonen abgewiesen. Gleichzeitig hat das Gericht die Revision zum Bundesverwaltungsgericht für den bfg München und den bfg Bayern zugelassen. Da beide Körperschaften des öffentlichen Rechts an ihrer Klage festhalten, wird nun am 14. Dezember 2023 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. 
 
Der bfg München fordert die Rücknahme des Kreuzerlasses bzw. des § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO), die Abnahme der Kreuze und die Aufhebung des Urteils des BayVGH. In der AGO heißt es: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen."
Der bfg München sieht hier nicht nur das staatliche Neutralitätsgebot verletzt, sondern kritisiert auch die Bevorzugung der christlichen Religion gegenüber anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
 
BayVGH sieht Verstoß gegen Neutralitätspflicht
 
Obwohl das BayVGH die Klage abgewiesen hat, schreibt das Gericht in der Urteilsbegründung: "Die vom Beklagten veranlasste Anbringung von gut sichtbaren Kreuzen im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes verstößt gegen diese Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität."
 
Zudem stellt es fest, "dass das Kreuz Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur ist. Für den Nichtchristen oder den Atheisten wird das Kreuz gerade wegen der Bedeutung, die ihm das Christentum beilegt und die es in der Geschichte gehabt hat, zum sinnbildlichen Ausdruck bestimmter Glaubensüberzeugungen und zum Symbol seiner missionarischen Ausbreitung."
 
Das Gericht sieht zudem eine Benachteiligung anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften: "Durch die Anbringung der Kreuze in den Eingangsbereichen der staatlichen Dienstgebäude wird das Symbol des christlichen Glaubens in einem öffentlich zugänglichen staatlichen Raum präsentiert. Die Symbole anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden nicht in gleicher Weise ausgestellt. Hierin liegt eine sachlich nicht begründete Bevorzugung des christlichen Symbols (...)." - Alle zitierten Textstellen finden sich im Urteil des BayVGH, Ziffer 25 unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2022-N-23724?hl=true
 
Klage blieb trotzdem ohne Erfolg
 
In seiner Urteilsbegründung verweist das BayVGH dann aber darauf, dass "die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität allerdings ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip" sei, "das als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte der Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften begründet." (Ziffer 28, Urteil BayVGH)
 

Zudem stelle "die Vorschrift des § 28 AGO lediglich eine Verwaltungsvorschrift" dar, "der keine rechtliche Wirkung nach außen" zukomme. Gegen eine Verwaltungsvorschrift ohne rechtliche Außenwirkung gäbe es keinen Rechtsschutz, so das Gericht. Dementsprechend könne es auch "keine Klagebefugnis (...) für das Begehren geben, eine Verwaltungsvorschrift ohne unmittelbare Außenwirkung zu erlassen." (Ziffer 37, Urteil BayVGH)
 
Für das Gericht ist das Kreuz an der Wand dann nur "ein im wesentlichen passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung. (...) Eine relevante Wirkung zugunsten des Christentums durch ein Kreuz im Eingangs- und damit Durchgangsbereich eines Dienstgebäudes auf Besucher kann sich bei der naturgemäß nur flüchtigen Wahrnehmung nicht einstellen", (Ziffer 33, Urteil BayVGH) meint das Gericht und sieht die Religionsfreiheit nicht verletzt.
 
Kritik des bfg München am Urteil des BayVGH
 
Für die Vorsitzende des bfg München, Assunta Tammelleo, ist es nicht nachvollziehbar, "dass zu einem vom BayVGH ein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität und eine Bevorzugung der christlichen Religion festgestellt wird, zum anderen dann das Gericht mitteilt, dass man aber gegen eine Verwaltungsvorschrift keinen Rechtsschutz habe. Da stellt sich uns zunächst die Frage, ob die bayerische Staatsregierung vielleicht gerade deswegen die Kreuze per Verordnung hat anbringen lassen, um Klagemöglichkeiten zu erschweren."
 
Zudem teilt der bfg München die Auffassung des Gerichts nicht, dass keine Grundrechte verletzt werden. Zwar stellt das Neutralitätsgebot als allgemeines Gebot der Unparteilichkeit objektives Verfassungsrecht dar und ist an die staatlichen Akteure adressiert, gleichwohl führt ein Verstoß dagegen oft zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung, hier des Gleichbehandlungssatzes und der Weltanschauungs- und Religionsfreiheit.

Für den bfg München steht völlig außer Frage, dass § 28 AGO eine Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung ist und daher einen Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit darstellt. "Dass die bayerische Staatsregierung die Dienststellen anweist, die Kreuze 'im Eingangsbereich' - so dass alle daran vorbeigehen müssen - und 'gut sichtbar' anzubringen, zeigt, dass eine solche Außenwirkung ausdrücklich beabsichtigt ist", stellt Tammelleo fest.
 
Auch das "Flüchtigkeitsargument" des BayVGH stellt keine Rechtfertigung dar. Es ist falsch zu behaupten, dass "in Ansehung der Flüchtigkeit der Wahrnehmung im Eingangsbereich" (Ziffer 33, Urteil BayVGH) ein Grundrechtseingriff nicht vorliege. Zum einen ist ein Eingangsbereich oft auch ein Wartebereich, in dem man manchmal alles andere als flüchtige Minuten oder Stunden wartet, bis man empfangen wird; zum anderen hängt die Wirkung einer Begegnung nicht (nur) von deren Dauer ab. Manchmal genügen Sekunden, um von einem Menschen oder einer Situation tief und dauerhaft beeindruckt (und manchmal verletzt) zu sein.
 
"Alle Kläger*innen müssen in ihrem Leben eine Behörde aufsuchen oder werden gar dort hingebracht – z. B. von der Polizei oder einem Rettungsdienst. Von der Geburtsanzeige bis zur Sterbemitteilung, von der Kfz-Zulassung bis zu einem Bauantrag, von einer Gewerbeanmeldung bis zur Eheschließung - es gibt kaum einen Bereich, in dem die Kläger*innen nicht damit konfrontiert sind, dass ihnen das Kreuz als quasi-staatliches Symbol demonstrativ vorgehalten wird" , so die Vorsitzende des bfg München.
 
Ein Kreuz an der Wand ist dabei nicht nur Folklore, Schmuck oder Kunst, sondern für Christ*innen Glaubensbekenntnis und religiöses Symbol schlechthin. Da es in Behörden hängt, muss es als Parteinahme des Staates für die christliche Religion verstanden werden. Für viele Nichtchrist*innen ist das eine Provokation. Atheist*innen, Agnostiker*innen und Andersgläubige werden ausgegrenzt und dadurch diskriminiert.
"Als religionskritische Weltanschauungsgemeinschaft sehen wir uns hier nicht nur einer Ungleichbehandlung ausgesetzt, sondern auch einer Herabsetzung der eigenen Weltanschauung durch die Bevorzugung der christlichen Religion, obwohl wir als Körperschaft des öffentlichen Rechts den Religionsgemeinschaften juristisch gleichgestellt sind", stellt Tammelleo fest.
 
Zu kurz gedacht ist auch das Argument, das Kreuz an der Wand als im Wesentlichen passives Symbol entfalte keine "missionierende oder indoktrinierende Wirkung". Sogar wenn das so wäre, müsste z.B. die Anbringung etwa des BMW-Symbols in den Amtsstuben, auch wenn das als Ausdruck der technischen Innovationskraft Bayerns beschönigt würde, schon wegen Art.3 Abs.3 GG (Gleichbehandlung) durch VW und Daimler nicht hingenommen werden. Denn ein werbender Effekt tritt allein schon durch die Präsentation derartiger Symbole ein.

Fazit Tammelleo: "Da der Bund für Geistesfreiheit als 'Konkurrent' der christlichen Glaubensgemeinschaften durch den staatlichen Befehl, das zentrale christliche Symbol schon im Eingangsbereich der durch die Verfassung zur Neutralität verpflichteten Behörden gut sichtbar anzubringen, in seinen Grundrechten auf Gleichbehandlung (Art.3 Abs.3 GG) und auf Religionsfreiheit (Art.4 Abs.1 GG) verletzt ist, hätte unserer Klage vor dem BayVGH stattgegeben werden müssen. Wir hoffen, dass das Bundesverwaltungsgericht uns Recht gibt und Ministerpräsident Markus Söder und die bayerische Staatsregierung verpflichtet, den Kreuzerlass in Bayern zurückzunehmen. Andernfalls werden wir die Klage vor das Bundesverfassungsgericht bringen."
 
Alternative zum Kreuz: Art. 1 GG in staatlichen Dienststellen anbringen
 
Der bfg München unterstützt den Vorschlag des SZ-Journalisten Dr. Heribert Prantl, der am 25. Mai 2022 im Bayerischen Rundfunk empfohlen hat, Art.1 Abs.1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" in den staatlichen Dienststellen und öffentlichen Einrichtungen anzubringen.
Tammelleo: "Hinter diesem Artikel, der von keiner politischen Mehrheit veränderbar ist, können sich alle Menschen stellen, die auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen. Jegliches staatliches und gesellschaftliches Handeln muss sich und sollte sich stets an Artikel 1 orientieren. Das immer wieder in öffentlichen Einrichtungen in Erinnerung zu rufen, halten wir für eine hervorragende Idee von Herrn Prantl, die wir ausdrücklich unterstützen."