Christen und Muslime in Bayern mehrheitlich für gemeinsamen Ethik-Unterricht
Schock für Kirchen und muslimische Verbände
Dass 85 Prozent der Bürger ohne Religion einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler befürworten, war zu erwarten. Doch auch die katholischen und evangelischen Christen sprechen sich ebenso wie die muslimischen Bürger mehrheitlich dafür aus, dass ihre Kinder gemeinsam mit konfessionsfreien Kindern im Fach Ethik unterrichtet werden.
Das größte deutsche Marktforschungsinstitut GfK hat vom 24. Februar bis 20. März 2022 bundesweit 4 300 repräsentativ ausgewählte deutschsprachige Bürger im Alter von 18 bis 74 Jahren, davon 647 in Bayern, im Auftrag des Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern befragt. Dessen Vorsitzender Erwin Schmid bewertet das Ergebnis als ein „Desaster für Kirchen und muslimische Verbände. Offensichtlich erkennen die eigenen Mitglieder besser als die Führung, dass ein friedvolles Zusammenleben und der gesellschaftliche Zusammenhalt nur durch Stärkung des Gemeinsamen und nicht des Trennenden gefördert werden kann.” Wenn 64 Prozent der Bayern einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler befürworten, sei das fast eine verfassungsändernde Mehrheit.
Die detaillierten Grafiken für alle Bundesländer finden Sie unter: Ethikunterricht in Bayern und anderen Bundesländern
Ein PDF mit allen Daten kann hier heruntergeladen werden.
Der hpd berichtete am 5. Mai 2022.
32 Prozent Konfessionsfreie in Bayern
Statt nach der Mitgliedschaft zu fragen, wollte der bfg Bayern wissen, welcher Religion sich die Befragten zugehörig fühlen. Denn aus Kirchenkreisen wird immer wieder die Vermutung geäußert, dass die Kirchenaustritte ihren Grund in der Vermeidung der Kirchensteuer hätten und nicht in der Abwendung vom Glauben. „Die Umfrage zeigt jedoch keine große Diskrepanz zwischen den offiziellen Mitgliederzahlen der Kirchen und den Ergebnissen der GfK-Umfrage“, erklärt Ernst-Günther Krause, der beim bfg Bayern zuständige Experte für die Ethikumfrage. Danach fühlen sich 42 Prozent als katholische und 21 Prozent als evangelische Christen. Die sich als muslimisch bezeichnenden Befragten kommen auf 3 Prozent, die sich anderen Religionen zugehörig fühlenden auf 2 Prozent. Mit 32 Prozent liegt der Anteil der Konfessionsfreien in Bayern weit über dem der evangelischen Christen. „Die sich ohne Religion glücklich fühlenden Bürger werden allerdings nicht wie die Kirchen vom Staat mit Millionenbeträgen gefördert“, kritisiert Krause die seit vielen Jahrzehnten gezahlten Subventionen.
Bundesweit 72 Prozent Zustimmung für gemeinsamen Ethikunterricht
Bundesweit liegt die Zustimmung für einen gemeinsamen Ethikunterricht mit 72 Prozent deutlich über der von Bayern. Dass die neuen Bundesländer mit 79 Prozent an der Spitze liegen, ist wohl dem hohen Anteil an Konfessionsfreien geschuldet, der zwischen 70 Prozent in Brandenburg und 77 Prozent in Thüringen liegt.
Doch auch in den alten Bundesländern sind durchschnittlich 70 Prozent der 18- bis 74-Jährigen für einen gemeinsamen Ethikunterricht. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt die Zustimmung sogar bei 74 Prozent, obwohl sich in NRW je 30 Prozent als katholische und evangelische Christen sowie 6 bis 7 Prozent als Muslime bezeichnen. 31 Prozent stufen sich in NRW als konfessionsfrei ein – ein Prozentpunkt weniger als in Bayern.
Lehrkräfte für Ethikunterricht fehlen
Spätestens nach der Landtagswahl im Herbst 2023 werde es bei allen politischen Parteien zu einem Umdenken kommen. „Man kann nicht erfolgreich über längere Zeit gegen eine so klare Mehrheit in der Bevölkerung regieren“, ist Ernst-Günther Krause überzeugt. Der Pädagoge im Ruhestand hat selbst mehr als zwei Jahrzehnte lang zusehen müssen, wie zwei Gruppen von Schülern den Klassenraum verlassen mussten und eine dritte Gruppe sitzenbleiben konnte. „Und das letztlich nur, weil ihre Eltern Mitglieder von zwei größeren Kirchen sind oder sich keiner oder einer anderen Religion zugehörig fühlen. Das muss ein Ende haben.“
Das Staatsministerium für Kultus und Unterricht (StmUK) habe laut Krause bisher völlig unzureichend auf den wachsenden Anteil konfessionsfreier Schüler reagiert. Wenn ein Ministerium in der aktuellen Antwort an eine Landtagsabgeordnete zugeben muss, dass dem Ministerium „umfassende Zahlen zur Qualifikation der Ethiklehrkräfte, in denen alle Qualifizierungsmöglichkeiten zur Erteilung von Ethikunterricht an der Realschule, dem Gymnasium sowie den beruflichen Schulen erfasst sind“, nicht vorliegen, spreche das für eine Vernachlässigung politischer Pflichten.
Steigerung der Attraktivität der philosophisch-ethischen Studiengänge erforderlich
Am 1. März 2022 kommt das Ministerium zu dem Fazit, dass „weiterhin ein hoher Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften mit Lehrbefähigung im Fach Ethik“ besteht. Die Zahlen vom Wintersemester 2020/21 belegen jedoch genau das Gegenteil: ein Missverhältnis zwischen der Nachfrage nach Ethikunterricht und dem dafür erforderlichen Lehrkräftebedarf. 15 Prozent der Studierenden haben sich neu für Ethik/Philosophie eingetragen und 85 Prozent neu für evangelische (28 Prozent) sowie katholische (57 Prozent) Religionslehre. Angesichts der Tatsache, dass sich mehr als 30 Prozent der volljährigen Bürger Bayerns als konfessionslos bezeichnen, sei Handeln und kein ministerielles „Beobachten der Entwicklung der Studierenden- bzw. Absolventenzahlen in den verankerten Fächerverbindungen mit Ethik“ erforderlich, schlussfolgert Krause. „Die politischen Parteien müssen von der bisherigen Benachteiligung des Ethikunterrichts abrücken.“
Ansprechpartner
Ernst-Günther Krause
Telefon 089 / 317 12 12
Der Bund für Geistesfreiheit Bayern (bfg Bayern) ist eine Weltanschauungsgemeinschaft, die sich an den Grundsätzen der Aufklärung und des Humanismus orientiert. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist er den Religionsgemeinschaften rechtlich gleichgestellt.
Der bfg Bayern ist die Dachorganisation, der sich die Ortsgemeinschaften in Bamberg, Deggendorf, Erlangen, Fürth, Kulmbach/Bayreuth, München,München, Nürnberg, Neuburg / Ingolstadt, Regensburg und Schweinfurt angeschlossen haben.
GfK-Umfrage zum Ethik-/Religionsunterricht
Erhebungszeitraum: 24.02.-20.03.2022
Methode: GfK eBUS®
Stichprobe: 4000 Personen im Alter von 18-74 Jahren, die die deutschsprachige Bevölkerung repräsentieren
Frage 1: Unsere Gesellschaft ist zunehmend bunter und vielfältiger geworden. Welchen der folgenden Vorschläge zum Schulunterricht halten Sie für am besten geeignet, ein friedvolles Miteinander der Menschen zu fördern?
1. Schüler/innen mit Religionszugehörigkeit besuchen das Fach Religionslehre, alle anderen Schüler das Fach Ethik.
2. Alle Schüler/innen besuchen das Fach Ethik. Das Fach Religionslehre wird zusätzlich angeboten, die Teilnahme ist jedoch freiwillig.
3. Alle Schüler/innen besuchen das Fach Ethik. Das Fach Religionslehre entfällt.
Frage 2: Welcher Religion fühlen Sie sich zugehörig?
Fühlen Sie sich …
1. als katholische/r Christ/in,
2. als evangelische/r Christ/in,
3. als Muslim/in,
4. einer anderen als der hier aufgeführten Religionen zugehörig oder
5. keiner Religion zugehörig?
Wie bewertet der Philosoph Julian Nida-Rümelin den Ethik- und Religionsunterricht?
„In einer zunehmend säkularen Gesellschaft allerdings werde der Ethikunterricht immer wichtiger, meint Philosoph Nida-Rümelin: ‚Das eine ist der Anspruch, Religionsunterricht an den staatlichen Schulen zu erhalten. Und das andere ist das gewissermaßen alles Überwölbende und alles Zusammenfassende: Nämlich die ethische, die normative, die moralische Substanz einer demokratischen Gesellschaft bei allen Unterschieden der verschiedenen Gemeinschaften, Religions-, Kultur-, Herkunftsgemeinschaften, zu entwickeln und zu stärken.‘
Seine Zukunftsvision lautet: Ein gemeinsamer Ethikunterricht für alle.“