Münchner Straßennamen mit den Kardinälen Faulhaber, Wendel und Döpfner umbenennen
Der Bund für Geistesfreiheit München freut sich über die Nachricht in der Süddeutschen Zeitung vom 22.11.24, dass das von der Stadt München beauftragte Expert*innengremium empfiehlt, die Straßennamen der drei Kardinäle zu streichen.
Am 27. Januar 2023 hat der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) zum ersten Mal an die Stadt München und an Oberbürgermeister Dieter Reiter geschrieben, die Straßen der Kardinäle Wendel und Döpfner in die "Short List" von Straßennamen "mit erhöhtem Diskussionsbedarf" aufzunehmen sowie sexuellen Missbrauch als Kriterium zur Umbenennung von Straßennamen zu verwenden. Kardinal Faulhaber befindet sich seit längerem schon auf der "Short List mit erhöhtem Diskussionsbedarf", aber nicht wegen des Themas sexueller Missbrauch, sondern mutmaßlich wegen seiner Demokratiefeindlichkeit sowie seines Verhaltens und seiner Äußerungen während der Zeit des Nationalsozialismus. Dass das städtische Expert*innengremium nun empfiehlt, die Straßennamen der drei Kardinäle umzubenennen, ist überfällig.
Assunta Tammelleo: "Ein Blick in das Missbrauchsgutachten der Kanzlei Wespfahl Spilker Wastl (WSW) vom 20. Januar 2022 genügt, um festzustellen, dass die Kardinäle Faulhaber, Wendel und Döpfner es nicht verdient haben, in München mit einem Straßennamen geehrt zu werden. Im Missbrauchsgutachten wird nachvollziehbar belegt, wie die Kardinäle Missbrauchstäter geschützt und wie sie die Opfer und ihr Leid ignoriert und missachtet haben. Missbrauchstäter, auch rechtskräftig verurteilte, wurden einfach versetzt und durften schon bald wieder in der Seelsorge arbeiten oder im Religionsunterricht. Und das geschah nicht einmal oder zweimal sondern immer wieder. Besonders erschreckend ist die Ignoranz, Kälte, gar Feindseligkeit, die den Opfern von Seiten der Kirche entgegenschlug. Für die Kirche stand vor allem im Fokus, Schaden von der Institution Kirche abzuwehren. Was mit den Opfern geschah, war ihnen gleichgültig."
Im Missbrauchsgutachten der Kanzlei WSW (Download PDF) wurden den Kardinälen Faulhaber, Wendel und Döpfner Fehlverhalten in insgesamt 28 Fällen bescheinigt - Faulhaber von 1945-52 in vier Fällen, Wendel von 1952-60 in acht Fällen und Döpfner 1961-76 in 14 Fällen.
235 mutmaßliche Täter insgesamt hatte WSW im Zeitraum 1945 bis 2019 ermittelt. Die Zahl der Geschädigten liegt laut Gutachten bei 497. Bei 43 Klerikern seien Maßnahmen mit Sanktionscharakter unterblieben, 40 Kleriker seien nach dem Bekanntwerden einschlägiger Vorwürfe wiederum in der Seelsorge eingesetzt bzw. deren seelsorgerische Tätigkeit geduldet worden - 18 davon sogar nach einschlägiger staatlicher Verurteilung. Darauf wies Anwalt Dr. Martin Pusch bei der Präsentation des Missbrauchsgutachtens am 20. Januar 2022 hin.
Im folgenden einige Zitate aus dem Missbrauchsgutachten, die belegen, warum die Kardinäle Döpfner, Wendel und Faulhaber nicht mit einem Straßennamen geehrt werden dürfen.
Kardinal Döpfner
Im Missbrauchsgutachten stellen die Gutachter*innen für die Amtszeit Döpfners fest, dass die Versetzungspraxis im Erzbistum enorm zugenommen hat: "In einer bis dahin nicht feststellbaren Anzahl wurden einschlägig straffällig gewordene Priester aus anderen (Erz-)Diözesen innerhalb sowie außerhalb Deutschlands in den Dienst der Erzdiözese München und Freising übernommen und ohne weitere tätigkeitsbeschränkende oder -begleitende Maßnahmen in der Seelsorge eingesetzt. Diese Praxis wurde in vergleichbarer Weise noch unter dem Nachfolger des Erzbischofs Kardinal Döpfner (Anm.: gemeint ist Erzbischof Ratzinger) fortgeführt und erfuhr erst danach einen spürbaren Rückgang." (Missbrauchsgutachten, S.681)
Kardinal Wendel
Das Missbrauchsgutachten stellt bei Wendel in acht Fällen ein fehlerhaftes Verhalten fest. "Auffallend ist, dass nahezu alle diese Fälle verurteilte Sexualstraftäter betreffen. In der tendenziell kurz bemessenen Amtszeit des Erzbischofs Kardinal Wendel sind damit eine unverhältnismäßig hohe Zahl und Häufung einschlägiger Verurteilungen durch staatliche Gerichte festzustellen." (Missbrauchsgutachten, S. 648)
Kardinal Faulhaber
Zu Gute gehalten wird Faulhaber im Missbrauchsgutachten, dass er einerseits auch gegen Täter vorgegangen ist. "Andererseits wurden verurteilte Missbrauchstäter, wie zu vermuten ist, auch mit Wissen und Billigung des damaligen Erzbischof Kardinal von Faulhaber ohne substanzielle Tätigkeitsbeschränkungen wieder in der Seelsorge sowie im Schuldienst eingesetzt." (Missbrauchsgutachten, S.632)
Und weiter: "Einheitlich war hingegen das Verhalten gegenüber den Geschädigten. Unababängig davon, ob diese beispielsweise anhand vorliegender Strafurteile bekannt oder anderweitig identifizierbar waren, konnten die Gutachter feststellen, dass diese durchgängig nicht beachtet wurden." (Missbrauchsgutachten, S.632)
Demokratiefeind Faulhaber
Überdies wird Faulhaber in der Öffentlichkeit schon seit vielen Jahren kritisch betrachtet, insbesondere wegen seines Verhaltens und Wirkens während des Nationalsozialismus. Seit 2019 fordert der bfg München die Umbenennung der Kardinal-Faulhaber-Straße. Am 20. Oktober 2022 entschied die Stadt Würzburg, den Kardinal-Faulhaber-Platz umzubenennen. Seit diesem Jahr heißt er Theaterplatz.
Die Ehrung Faulhabers mit einem Münchner Straßennamen im Jahr 1952 geschah damals ganz offenkundig in Unkenntnis seiner Gegnerschaft zur Demokratie. So schrieb der Kardinal am 15. September 1933 voller Hoffnung in sein Tagebuch, dass Hitler das gelänge, was Bismarck nicht schaffte, "das Übel des parlamentarischen demokratischen Systems mit der Wurzel auszureißen, (...). In letzter Stunde gab die Vorsehung dem deutschen Volk einen Mann, der es, so Gott will, zu einem besseren Reich führen soll."
Das geschah wohl auch in Unkenntnis seines antisemitischen Hasses auf Kurt Eisner, den ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, den er am 27. Februar 1919 als einen "Teil von jener Kraft, die Jesus gekreuzigt hat", bezeichnete.
Und offenbar wusste man nichts über seine antisemitischen Einstellungen. Im Oktober 1936 gestand Faulhaber dem NS-Regime das Recht zu, "gegen Auswüchse des Judentums in seinem Bereich vorzugehen" (aus Rudolf Reiser, Kardinal Michael Faulhaber, S. 58). Und schon am 8. April 1933 schrieb der Kardinal an einen Priester, warum es für ihn wichtigere Dinge gäbe, als den bedrängten Juden beizustehen "(...) zumal man annehmen darf, und zum Teil schon erlebte, dass die Juden sich selber helfen können, dass wir also keinen Grund haben, der Regierung einen Grund zu geben, um die Judenhetze in eine Jesuitenhetze umzubiegen." (Reiser, S. 47)
1936 verkündete Faulhaber zudem das "einmütige Bekenntnis der deutschen Bischöfe zum Führer und seinem weltgeschichtlichen Werk" (Reiser, S. 59), rief 1938 "das katholische Volk" auf, "in weltgeschichtlicher Stunde ein Treuebekenntnis zum Führer und Reichskanzler Hitler abzulegen" und ordnete an, dass "in unseren Diözesen die Kirchenglocken geläutet werden." (Reiser, S. 63-64)
Dass Faulbaber Menschenleben wenig bedeuteten, zeigte sich schon während des 1. Weltkriegs. Ende 1915 stellte er eiskalt fest: "Eisenpillen bringen Bluterneuerung" (Reiser, S. 16). 25 Jahre später scheint sich an dieser Haltung nichts geändert zu haben. 1940 schrieb er an die Gläubigen: "Die christliche Religion verbietet schwächliches Jammern und ängstliches Zagen. Ein männlich-heldischer Zug liegt in der paulinischen Waffenpredigt. (...) Ich denke an die Treue des Soldaten zum Fahneneid. Das deutsche Lied hat es in die Welt hinausgerufen. Die Treue ist uns kein leerer Wahn." (Reiser, S.69)
"Dies alles ist unvereinbar mit der besonderen Ehrung Faulhabers in München. Besonders paradox ist zudem, dass ausgerechnet die Straße, in der der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern, Kurt Eisner, ermordet wurde, nach einem erklärten Feind der Demokratie benannt ist. Wurde sinnvoller und notwendiger Weise vor einigen Jahren die Meiserstraße umbenannt, so ist eine Umbenennung der Kardinal-Faulhaber-Straße ganz sicher mindestens ebenso geboten. Zudem muss dem Kardinal die Ehrenbürgerschaft aus dem Jahr 1949 aberkannt werden", fordert Assunta Tammelleo.
Umbenennung in Sylvia-Klar-Straße
Der bfg München fordert die Umbenennung der Kardinal-Faulhaber-Straße in "Sylvia-Klar-Straße". "Sylvia Klar war Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft in München, verhalf dem späteren bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner zur Flucht, war bei der Widerstandsgruppe 'Neu Beginnen' und wurde von den Nazis 1942 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Bernburg ermordet. Der Stadtrat sollte Sylvia Klar mit einem Straßennamen ehren", so Tammelleo.
Umbenennung von Straßennamen von Nationalsozialisten, Antisemiten, Rassisten und Kolonialverbrechern beschleunigen
Im Jahr 2015 hat der Münchner Stadtrat, initiiert von der SPD-Fraktion, eine Untersuchung aller knapp 6.800 Straßennamen in Auftrag gegeben. Im November 2019 berichteten zahlreiche Medien darüber, dass dem Ältestenrat des Stadtrats in nicht-öffentlicher Sitzung eine von Historiker*innen über vier Jahre erstellte Liste mit 370 sog. problematischen Straßennamen vorgelegt wurde, vor allem mit mutmaßlichen Nationalsozialisten, Demokratiefeinden, Antisemiten, Rassisten und Kolonialverbrechern. Die Öffentlichkeit wurde zunächst nicht informiert.
Seit November 2019 befasste sich dann die Expert*innenkommission "Historisch belastete Straßennamen" mit der Sache. In dem Gremium sitzen unter anderem Vertreter*innen der Stadtratsfraktionen, des Stadtarchivs, des Kulturreferats, des NS-Dokumentationszentrums, des Münchner Stadtmuseums, des Jüdischen Museums und der Fachstelle für Demokratie. Im September 2021 wurde schließlich eine Liste von "Straßennamen mit erhöhtem Diskussionsbedarf" veröffentlicht.
Auf dieser sog. Shortlist sind ca. 45 Münchner Straßen, die nach Ansicht der Historiker*innen für eine Umbenennung in Frage kämen (die Liste und weitere Infos der Stadt finden sich hier). Die Namensgeber der Straßen auf der Shortlist sind laut Münchner Stadtarchiv Personen, "deren lebensgeschichtliches Wirken darauf hindeutet, dass ihr Handeln in einem eklatanten Widerspruch zu fundamentalen und überzeitlichen humanitären und demokratischen Grundwerten stehen könnte."
Assunta Tammelleo geht das alles zu langsam: "Der Prozess um belastete Straßennamen dauert nun schon zehn Jahre. Ende vergangenen Jahres wollte die Expert*innenkommission ihre Arbeit beendet haben, danach sollte die Liste inklusive Abschlussbericht der Expert*innen in den Stadtrat gehen. Wird das nun endlich passieren und über den Bericht öffentlich diskutiert werden können? Irgendwann muss der Stadtrat, insbesondere die Rathauskoalition, Farbe bekennen und sagen, welche Straßennamen umbenannt werden sollen."
Bei weiteren 327 Straßen (Longlist) regten die städtischen Expert*innen an, die Namensgeber auf Zusatzschildern zu kommentieren. Welche Namen sich auf dieser Liste befinden, ist noch immer nicht öffentlich. Auch hier wünscht sich der bfg München mehr Transparenz.