Für die sofortige und entschädigungslose Abschaffung der historischen Staatsleistungen!

Protestaktion am 12. April 2021 vor dem Erzbischöflichen Palais in der Münchner Kardinal-Faulhaber-Straße
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Für den Bund für Geistesfreiheit München ist es nicht hinnehmbar, dass noch immer die Steuerzahler*innen dafür aufkommen, was vor über 200 Jahren "Thron und Altar" unter sich ausgemacht haben. Ob die Ampel ein Gesetz zur Ablösung der Staatsleistungen verabschiedet und wie es ausgestaltet ist, bleibt abzuwarten.
 
Seit 1949 haben die beiden großen Kirchen in Deutschland ca. 20,2 Milliarden Euro an sog. historischen Staatsleistungen erhalten. Allein in diesem Jahr belaufen sich die zweckungebundenen Zuwendungen auf insgesamt 594 Millionen Euro. Der Freistaat Bayern zahlt 2022 über 103 Millionen Euro an die katholische und evangelische Kirche. Das belegen die Zahlen der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union.

Dabei geht es nicht um Zahlungen des Staates, die z.B. für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen an Caritas oder Diakonie geleistet werden, sie sind auch nicht zu verwechseln mit der Kirchensteuer, sondern die Kirchen bekommen das Geld noch immer quasi als "Entschädigung" wegen der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts.
 
"Reichsdeputationshauptschluss" von 1803
 
Zur Zeit der napoleonischen Kriege wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des "Heiligen Römischen Reichs" durch den "Reichsdeputationshauptschluss" von 1803 säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der größeren weltlichen Landesfürsten unterstellt. Neben Preußen, Württemberg oder Baden profitierte davon auch das damalige Kurfürstentum Bayern. So hatte sich dessen Staatsgebiet bis 1815 unter anderem um geistliche Territorien wie die Fürstbistümer Passau, Eichstätt, Augsburg, Freising, Bamberg und Würzburg erweitert. Bayern, das 1806 zum Königreich aufgestiegen war, hatte aber nicht nur territoriale Zugewinne, auch innerhalb des Staatsgebiets wurden fast alle Klöster aufgelöst und der Grundbesitz auf den Staat übertragen. 
 
Kleine Notiz am Rande: Da von der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts hauptsächlich die katholische Kirche betroffen war, die evangelische Kirche aber deutschlandweit sogar mehr an historischen Staatsleistungen bekommt als die katholische, mussten zur Begründung der Zahlungen an die evangelischen Landeskirchen sogar die Vermögensverluste zur Zeit der Reformation (!) herhalten.
 
Wenn man Menschen – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig – auf die sog. Staatsleistungen anspricht, stellt man fest: Nur wenige wissen davon. Nach dem ersten Staunen folgen Kritik und Zorn. Kritik an einer Politik, die den Kirchen jedes Jahr das Geld der Steuerzahler*Innen überweist. Zorn auf eine Kirche, die das Geld nimmt und das noch immer mit der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts begründet.

Wie soll man auch Menschen, v.a. Konfessionsfreien, heute erklären, dass die katholische Kirche in Bayern die Gelder z.B. für das Personal der Erzdiözesen - einschließlich der Jahresrenten für Erzbischöfe und Bischöfe - verwendet (siehe Gesetz zur Ausführung konkordats- und staatskirchenvertraglicher Verpflichtungen Bayerns vom 7. April 1925). So werden im Jahr 2022 46 Millionen Euro allein für die Besoldung von katholischen Seelsorgegeistlichen bereitgestellt.
  
Verfassungsauftrag zur einmaligen Ablösung sämtlicher Staatsleistungen

Schon im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 war die Möglichkeit der Ablösung der jährlichen Zahlungen durch eine Einmalzahlung angeführt. Welche Summen an Staatsleistungen zwischen 1803 und 1949 an die Kirchen geflossen sind, darüber gibt es nicht einmal Schätzungen.

Seit der Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1919 gehört die Finanzierung kirchlicher Belange nicht mehr zu den staatlichen Aufgaben. Dem Staat ist es sogar untersagt, bestimmten Religionsgemeinschaften Vorteile zu gewähren, denn damit verstößt er gegen das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität. 
 
Zudem besteht seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (WRV) am 11. August 1919 mit Art. 138 ein Verfassungsauftrag zur endgültigen Beendigung sämtlicher historischer Staatsleistungen durch eine einmalige Ablösung. Dieses Ablösegebot in Art 138 wurde im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 mit Art. 140 in das Grundgesetz übernommen. Dort heißt es: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."
 
Sofortige und entschädigungslose Abschaffung der Staatsleistungen
 
Jedoch sah sich bisher keine Bundesregierung seit 1949 veranlasst, das in Art. 140 GG bzw. Art. 138 WRV geforderte "Grundsätzegesetz" auf den Weg zu bringen, auf dessen Basis die Länder dann die Staatsleistungen endgültig ablösen könnten. Man kann das als eklatanten Verfassungsbruch zugunsten der Kirchen bezeichnen. Zudem macht es die Tatenlosigkeit der Bundesregierung den Landesregierungen leicht, die Verantwortung dafür Berlin zuzuschieben. Doch auch die Länder könnten beispielsweise über den Bundesrat einen Gesetzentwurf für ein Bundesgesetz einbringen.
 
Der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) spricht sich für eine sofortige und entschädigungslose Abschaffung der Staatsleistungen aus. Selbst wenn man der Auffassung ist, dass es sich bei den Staatsleistungen um Entschädigungszahlungen aufgrund von Säkularisierungsprozessen handelt - nach über 200 Jahren sind diese Verpflichtungen längst und um ein Mehrfaches abgegolten.

Auf der anderen Seite, stünde es den Kirchen gut zu Gesicht, freiwillig auf eine weitere Auszahlung auf Kosten der Steuerzahler*innen zu verzichten und so einen Beitrag zur aktuellen Krisenbekämpfung zu leisten. Falls die Kirchen auf die dann fehlenden Einnahmen angewiesen sein sollten, kann eine Erhöhung der Kirchensteuer den Fehlbetrag ausgleichen. Die Kirchen aber halten bis heute ungeniert die Hand auf, während derzeit Unternehmen und Bürger*innen mit Inflation und massiv steigenden Energiekosten zu kämpfen haben.
 
Kundgebung vor dem Erzbischöflichen Palais und dem evangelischen Landeskirchenamt
 
Am 12 April 2021 demonstrierte der bfg München anlässlich der Anhörung im Bundestag zu den historischen Staatsleistungen vor dem Erzbischöflichen Palais in der Kardinal-Faulhaber-Straße sowie vor dem evangelischen Landeskirchenamt in der Katharina-von-Bora-Straße.  
 
Mit Schildern auf denen stand "Den Kirchen kein Steuergeld hinterherwerfen - für eine sofortige und entschädigungslose Ablösung der Staatsleistungen", "warum muss ich das Gehalt des Münchner Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, bezahlen?" oder "Über 200 Jahre 'Entschädigungszahlungen' für die Kirchen und zum Abschluss eine hohe Ablösesumme? Wir wollen auch enteignet werden!" demonstrierten rund 15 Aktivist*innen. Der Anlass war die am gleichen Tag stattfindende Anhörung im Innenausschuss des Bundestags zum "Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen", den Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke am 13. März 2020 eingebracht haben und der am 5. November 2020 in erster Lesung im Bundestag diskutiert worden war.
 
Laut Gesetzentwurf sollte zur Ablösung der Staatsleistungen das 18,6-fache der Summe des Jahres 2020 über einen Zeitraum von 20 Jahren gezahlt werden. Das wären über 10 Milliarden Euro gewesen. Bis zur endgültigen Ablösung sollten zudem die Staatsleistungen weitergezahlt werden. Das hätte bedeutet, die Kirchen hätten 20 Jahre lang zum einen die jährlich steigenden Staatsleistungen, zum anderen den jährlichen Beitrag zur Ablösesumme – die Schätzungen reichten von insgesamt 22 bis 25 Milliarden Euro - bekommen.

Auf alle Fälle wäre es deutlich mehr als 19,5 Milliarden Euro gewesen, das ist der Betrag, der von 1949 - 2021 insgesamt an Staatsleistungen gezahlt wurde, wie Recherchen der Humanistischen Union im Jahr 2021 belegten. Allein auf Bayern wären so bis zur endgültigen Ablösung der Staatsleistungen in 20 Jahren ca. weitere 4,4 Milliarden Euro hinzugekommen. In den 73 Jahren von 1949 - 2021 wurden dagegen nur 4,1 Milliarden Euro vom Freistaat an die Kirchen gezahlt.
Die damalige schwarz-rote Regierungsmehrheit hatte schließlich am 6. Mai 2021 den Gesetzentwurf der Opposition abgelehnt - aber nicht weil die Kirchen damit zu viel Geld bekommen hätten.
 
Im Koalitionsvertrag der Ampel vom 24. November 2021 haben SPD, Grüne und FDP festgehalten: "Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen." Ob mit einem Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode wirklich zu rechnen ist, bleibt abzuwarten. Aufgrund der Zusammensetzung der derzeitigen Regierung ist aber ein ähnlicher Gesetzentwurf wie 2020 zu erwarten, der vielleicht bei den Zahlungen an die Kirchen sogar noch eine Schippe drauflegt. Keine guten Aussichten für die Steuerzahler*innen!
 
Schlussbemerkung
 
Ob die Kirchen überhaupt einen Anspruch auf "Entschädigung" haben, darüber aber sollte nicht nur juristisch, sondern auch politisch und moralisch diskutiert werden. Haben doch die geistlichen Kurfürstentümer, Fürstbistümer, Reichsabteien etc. ihre Territorien und Güter in feudalen Zeiten erworben, unter Ausbeutung der ansässigen Untertanen die Gewinne eingestrichen und ihren Besitz und ihr Vermögen jahrhundertelang vermehrt. Zudem waren die Kirchen nicht selten Nutznießer von 'Hexen'-Verfolgungen, Pogromen gegen Juden oder Andersgläubige und haben sich die Besitztümer der Vertriebenen und Getöteten einverleibt. Wurden denn die Opfer der Kirchen, ihre Angehörigen oder Nachkommen jemals angemessen entschädigt? Wie wäre es mit einer Rückzahlung der seit 1949 erhaltenen Staatsleistungen bzw. die Einzahlung der Summe in einen Opferfonds?
 
Der bfg München ist Mitglied im bundesweiten BAStA-Bündnis (Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen).